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Wenn Konzerne den Protest managen…

Wie versuchen Konzerne ihre ökonomischen Interessen mit den Mitteln der Zivilgesellschaft durchzusetzen – eine „Astroturfing“ genannte Strategie? Welche Gegenstrategien waren dazu bisher erfolgreich? Mit diesen Fragen beschäftigte sich im September 2015 die Tagung „Wenn Konzerne den Protest managen …“ – unter Beteiligung von Robin Wood, LobbyControl, Linke Medienakademie e.V. und klimaretter.info. Hier gibt es den Tagungsband.

Über Jahrzehnte haben Konzerne differenzierte Strategien entwickelt, um ihre ökonomischen Interessen gegenüber der Politik durchzusetzen. Doch der bisher übliche Lobbyismus in Brüssel, Berlin oder anderswo genügt nicht, wenn Unternehmen mit zivilgesellschaftlichem Widerstand konfrontiert sind, wie er sich etwa gegen Großprojekte (Straßen, Bahnhöfe, Flughäfen, Gentechnik etc.) formiert.
Zunehmend fordert die Zivilgesellschaft nicht nur rechtsstaatlich korrekte und legale Entscheidungen ein, sondern auch gerechte und legitime.
Unternehmen und Politik setzt das unter großen öffentlichen Druck. Als eine Reaktion weiten auch Konzerne und deren PR-Agenturen ihre Handlungsfelder in den zivilgesellschaftlichen Bereich aus, der bisher vor allem den Sozialen Bewegungen vorbehalten war. Und sie, die Unternehmen, tun dies häufig verdeckt. Öffentlichkeitswirksamen Proteste werden inzwischen von Investoren oder Projektentwicklern einkalkuliert. Es wird nicht mehr nur versucht, diese zu verhindern oder zu ignorieren. Vielmehr ist es das Ziel, „Argumente zu managen“, Proteste zu übertönen oder zu neutralisieren – jedenfalls wird aktiv versucht, um die Meinungshoheit im öffentlichen (Diskurs-)Raum zu kämpfen.
Dabei kommt den Unternehmen und ihren Agenturen entgegen, dass Interessen in der modernen Gesellschaft weit ausdifferenziert sind. Neue Technologien und Vorhaben stoßen deshalb tatsächlich bei kleineren oder größeren Gruppen auf Akzeptanz – eine Gruppe von Befürwortern findet sich meist. Dies machen sich Unternehmen zunutze, indem sie derartige Gruppen unterstützen oder gar initiieren (wie es etwa in der Auseinandersetzung um den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof mit der Kampagne „I love S21“ zu beobachten war). Konzerne und PR-Agenturen nutzen außerdem aus, dass zivilgesellschaftliche Aktionsformen (Bürgerinitiativen, Unterschriftensammlungen etc. pp.) per se ein positives Image besitzen – wessen Interessen damit vertreten werden, ob sie selbstlos sind und dem Gemeinwohl dienen, wird selten hinterfragt.
Konzerne profitieren zudem von einer zunehmenden Unübersichtlichkeit: Technologien und Projekte werden immer komplexer und damit für viele Bürger schwerer verständlich. Das Internet hat zu einer Vervielfachung von Informationen geführt; es hat nicht nur sozialen Bewegungen neue Kanäle geöffnet, sondern es lassen sich auch Gerüchte, Falschinformationen, Denunziationen über sie verbreiten.

Hier der Tagungsband „Konzern. Macht. Protest. Über künstliche Bürgerinitiativen“: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Materialien16_Konzern.Macht.Protest.pdf