Forschung/EvaluationKonsultation

Der kooperative Diskurs

Für einen „kooperativen Diskurs“ bei der Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung plädierten Ortwin Renn und Thomas Webler im Jahr 1996.

Das Modell des kooperativen Diskurses beruht auf der Annahme, dass mit Hilfe von Kommunikation gemeinsam erarbeitete und getragene Entscheidungen bez. Handlungsempfehlungen auch bei Interessengegensätzen und Wertkonflikten unterschiedlicher Parteien erzielt werden können, ohne dass eine Partei ausgeschlossen oder ihre Interessen oder Werte unberücksichtigt bleiben. Ein solcher Diskurs ist durch folgende Charakteristika gekennzeichnet:
(1) Die Teilnehmer müssen im Konsens darüber entscheiden, nach welchem Verfahren Einigung über kollektiv bindende Entscheidungen getroffen werden sollen. Die Parteien können Einstimmigkeit, das Mehrheitswahlrecht oder die Einschaltung eines Schlichters vorsehen; wichtig ist aber, dass alle Parteien der vorgesehenen Verfahrensweise zustimmen.
(2) Die Teilnehmer müssen sich vorab darauf verständigen, dass alle in die Verhandlung eingebrachten Tatsachenbehauptungen nachgewiesen oder durch entsprechende Experten (wobei je nach Wissenstyp nicht nur Wissenschaftler in Frage kommen) bestätigt werden. Lässt sich eine Tatsachenbehauptung, wie häufig zu beobachten, nicht eindeutig nachweisen oder widerlegen, müssen alle legitimen, d.h. innerhalb des jeweiligen Wissenstyp zulässigen Aussagen gleichberechtigt in den Diskurs eingebracht werden.
(3) Die Teilnehmer müssen zur Kenntnis nehmen und einen Konsens darüber erzielen, dass unterschiedliche Interpretationsmuster und Rationalitäten gleichberechtigt sind, sofern sie nicht den Regeln der Logik und anderer formaler Argumentationsregeln widersprechen.
(4) Die Teilnehmer müssen sich gegenseitig verpflichten, alle Aussagen in einem Diskurs zuzulassen, sich aber gleichzeitig damit einverstanden erklären, dass alle Aussagen prinzipiell der gegenseitigen Kritik zuganglich gemacht und gemäss nachvollziehbaren Regeln auf ihre Geltungsansprüche hin untersucht werden.
(5) Die Teilnehmer sollen dazu ermutigt werden, die eigenen Interessen und Werte so weit wie möglich offenzulegen; eine solche Abstinenz vom strategischen Handeln wird sich aber nur dann durchsetzen, wenn Offenheit im Diskurs belohnt und strategisches Lügen wenig Aussicht auf Erfolg hat. Dies mag auf den ersten Blick als „frommer Wunsch“ erscheinen. Gemeint ist damit, dass alle Äusserungen von Teilnehmern auf ihre Ernsthaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit überprüft werden können und dass sich die Teilnehmer damit einverstanden erklären.
(6) Die Teilnehmer müssen die Bereitschaft mitbringen, eine faire Lösung des Konfliktes anzustreben, bei der alle Interessen und Werte grundsätzlich als legitim und verhandlungswürdig anerkannt werden, ohne damit die Notwendigkeit der Begründung von Interessen oder Werten in Frage zu stellen.
Es gibt keinen Zweifel, dass ein Diskurs, der alle diese Eigenschaften erfüllt, in der Realität nicht stattfindet. Der kooperative Diskurs, wie er hier charakterisiert ist, stellt das Ideal dar, an dem sich Diskurse in der Realität messen lassen müssen. In der Vergangenheit haben wir versucht, praktikable Modelle für Diskurse zu entwickeln und praktisch zu erproben. Die Erfahrungen mit diesen Projekten hat gezeigt, dass die Verwirklichung von kooperativen Diskursen eine Herausforderung darstellt, die theoretisches Wissen, kreatives Denken und praktisches Geschick erfordert. Alle unsere Projekte haben niemals alle Indikatoren eines rationalen Diskurses erfüllen können, mit zunehmender Erfahrung haben wir jedoch mehr und mehr dazugelernt.

Quelle und mehr dazu: http://elib.uni-stuttgart.de/bitstream/11682/8727/1/ren119.pdf

Ähnliche Ausführungen auch hier: http://analyse-und-kritik.net/Dateien/56c2e78d33dd4_ak_renn_webler_1996.pdf