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Forschung/Evaluation

Bürgerbeteiligung zur Stromtrasse „Ostbayernring“

Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) hat eine Aktionsforschung zu Bürgerbeteiligung bei der Planung eines Ersatzneubaus einer Höchstspannungsleitung durchgeführt.

Dabei wurde die Frage gestellt, was man aus den dabei gesammelten Erfahrungen über Gestaltung und Umsetzung von Bürgerbeteiligung zu Infrastrukturprojekten in der Energiewende lernen kann. Das Modul fokussierte sich auf den Ausbau des Stromnetzes und damit auf eine zentrale Herausforderung für die Energiewende. Laut dem Bedarfsplan (Stand Dezember 2015) sollen 5650 km Netzausbau erfolgen, davon Neubauvorhaben mit einer Gesamtlänge von rund 2.550 km. Diese Veränderungen der Energieinfrastruktur und die damit verbundenen weitreichenden Eingriffe in die Natur sowie die Lebenswelten erfordern ein hohes Maß an Verständnis und Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft. Deshalb ist es notwendig, BürgerInnen dialogorientiert in diese Prozesse einzubeziehen.
Hier die zentralen Ergebnisse:
  1. EINFLUSS DER INITIATORINNEN AUF DIE BÜRGERBETEILIGUNG
    InitiatorInnen von Bürgerbeteiligung prägen Gegenstand und Zweck von Beteiligungsprozessen sowie die Rollen der verschiedenen TeilnehmerInnen. Müssen Vorhabenträger für ihr Projekt werben und einen fairen Beteiligungsprozess gestalten, werden neben der Rechtssicherheit der Planung vor allem Akzeptanzziele wichtig sein. Zudem sind von vornherein antagonistische Dynamiken zwischen BürgerInnen und Vorhabenträger angelegt, da die Spielregeln der Beteiligung von einem interessengeleiteten Akteur festgelegt werden. Eine der Kernfragen von Bürgerbeteiligung im Netzausbau ist daher, ob und wie geeignetere AkteurInnen die Verantwortung für die Initiation von Beteiligung übernehmen können, so dass die Zielsetzung von Beteiligung allparteilicher wird und Prozessqualitäten in den Vordergrund stellt. Sinnvolle Bürgerbeteiligung kann dennoch auch unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen stattfinden, wenn man den TeilnehmerInnen echte Mitgestaltung ermöglicht, Nachvollziehbarkeit der Planungsschritte und Rechenschaft des Vorhabenträgers erhöht und so die Voraussetzungen für begründetes Vertrauen in die Planung schafft.
  2. WICHTIGKEIT DER ANBAHNUNGSPHASE VON BETEILIGUNGSPROZESSE
    Beteiligungsprozesse beginnen weit vor ihrer ersten Veranstaltung. In der Anbahnungsphase solcher Verfahren werden Zwecke und Qualitätskriterien festgelegt, von denen die Gestaltung des Beteiligungsdesigns und alle weiteren Schritte abhängen. Es ist wichtig, ausreichend Zeit für die Entwicklung des Beteiligungsdesigns innerhalb der InitiatorInnengruppe aufzuwenden, um den Gestaltungsspielraum möglichst gut schon im Vorfeld zu klären. Dabei wäre wünschenswert, lokale AkteurInnen in die InitiatorInnengruppe zu integrieren, damit deren Wissen und Anliegen schon in der Anbahnung berücksichtigt werden und blinde Flecken der anderen InitiatorInnen ausgeleuchtet werden können.
  3. VERKNÜPFUNG ZWISCHEN INFORMELLEN UND FORMELLEN VERFAHREN SICHERN
    Um die Wirksamkeit der Ergebnisse eines Beteiligungsprozesses im Vorfeld eines formellen Verfahrens zu sichern, wäre es wichtig, die für das formelle Verfahren zuständigen AkteurInnen in die Anbahnungsphase der Bürgerbeteiligung einzubeziehen. Es muss Ziel sein, informelle Bürgerbeteiligung so zu planen, dass ihre Ergebnisse vollständig in das formelle Verfahren eingehen können. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen, in denen Übertragungsnetzbetreiber für das informelle Verfahren verantwortlich sind, ist es notwendig, dass der Vorhabenträger sich vor der Öffentlichkeit verpflichtet, die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung in das formelle Verfahren einzureichen und den Mitwirkungsspielraum der Bürgerbeteiligung so klar und konkret wie möglich zu kommunizieren.
  4. ECHTEN GESTALTUNGSSPIELRAUM ANBIETEN
    Ein Beteiligungsprozess sollte idealerweise einen möglichst großen und zugleich klar abgegrenzten Gestaltungsspielraum anbieten. Dieser kann durch Veranstaltungen, in denen der Schwerpunkt auf der Information der Bevölkerung über das Vorhaben liegt, sinnvoll ergänzt werden. Die Unterscheidung sollte für TeilnehmerInnen jedoch stets deutlich sein. Intensive und zeitlich aufwendige Beteiligungsprozesse können für die TeilnehmerInnen zu Frustration führen, wenn das Gefühl entsteht, keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können oder zu einem späteren Zeitpunkt im Beteiligungsprozess die Mitsprache ohne eine klare und fundierte Begründung eingeschränkt wird.
  5. UNTERSCHIEDLICHE BETEILIGUNGSANGEBOTE VORSEHEN
    In einem Beteiligungsprozess werden unterschiedliche AkteurInnen mit unterschiedlichen Expertisen, Rollen und Funktionen beteiligt. Auch BürgerInnen bringen unterschiedliche Ressourcen (z.B. Zeit) und Anliegen mit. Bei der Gestaltung eines Beteiligungsdesigns ist es wichtig, diese unterschiedlichen Perspektiven, Interessen und Arten von Wissen zu berücksichtigen und Beteiligungsangebote zur Verfügung zu stellen, die möglichst viele der unterschiedlichen TeilnehmerInnen erreichen. Auf der Makro-Ebene bedeutet dies, Veranstaltungen und Beteiligungsformen zu planen, die verschiedene Funktionen und Prozessqualitäten erfüllen und unterschiedlich voraussetzungsreich sind. Die zwei Beteiligungsebenen (öffentliche Veranstaltungen einerseits und die Arbeit im TUT andererseits) der Beteiligungsprozesse zum Ostbayernring dienten dazu. Auf der Mikro-Ebene sollten unterschiedliche Kommunikations-Settings vorgesehen werden, so dass möglichst viele Menschen für sie geeignete Rahmenbedingungen vorfinden (Plenumspräsentationen, Arbeit in Kleingruppen, etc.).
  6. DAS TUT (Trassenuntersuchungsteam ) ALS ORGAN FÜR NACHVOLLZIEHBARKEIT, RECHENSCHAFTSPFLICHT UND VERTRAUENSAUFBAU
    Beteiligungsprozesse, in denen eine erfolgreiche Mitwirkung der BürgerInnen intensiv mit komplexen technischen und fachlichen Planungsprozessen verknüpft ist, sollten Strukturen vorsehen, die die Zusammenarbeit von TeilnehmerInnen mit unterschiedlichen Expertisen (Fachwissen, lokales Wissen, etc.) ermöglichen. Die Verwendung eines TUTs hat insbesondere in Windischeschenbach sein Potenzial gezeigt, die Mitgestaltungsmöglichkeiten, die Nachvollziehbarkeit der Planungsschritte und die Rechenschaftspflicht des Vorhabenträgers zu erhöhen. Die Ergebnisse von Demoenergie zeigen, dass in beiden Beteiligungsprozessen die UmweltplanerInnen ein hohes Maß an Vertrauen insbesondere unter den TUT-Mitgliedern genossen, obwohl sie vom Vorhabenträger beauftragt wurden. Dieses Ergebnis kann als Indikator verstanden werden, dass die Einberufung eines TUTs die Chance auf eine sachliche und kundige Auseinandersetzung um Trassenvarianten in konstruktiver Atmosphäre bietet.
  7. RÜCKKOPPLUNG ZWISCHEN BETEILIGUNGSEBENEN GESTALTEN
    Die Etablierung einer Arbeitsgruppe wie des TUTs soll die Einbeziehung von BürgerInnen und anderen lokalen AkteurInnen in die intensive und komplexe Planungsarbeit einer Trassensuche auf eine Art ermöglichen, die in dieser Form in einer großen Gruppe von Menschen nicht möglich wäre. Die sich im TUT abspielende Arbeit sollte für die breite Öffentlichkeit durch regelmäßige Informationen zugänglich sein und es sollten darüber hinaus Möglichkeiten für die Bevölkerung angeboten werden, zu allen wichtigen Aspekten Rückmeldung zu geben. Wenn das nicht passiert, entsteht das Risiko, dass die Arbeit im TUT nicht von der breiten Öffentlichkeit getragen wird. Die Erfahrung in Schwandorf zeigt auch, dass ein TUT, in dem sich nicht die Bereitschaft entwickelt, auf öffentlichen Veranstaltungen Auskunft über den jeweiligen Arbeitsstand zu geben (ohne sich dabei die einzelnen Ergebnisse eigen machen zu müssen), in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen wird, so dass die in den Umständen angelegte antagonistische Dynamik „Vorhabenträger steht skeptischen unbeteiligten Betroffenen gegenüber“ nicht vermieden werden kann.
  8. EINBEZIEHUNG DER KOMPETENZ DER BÜRGERINNEN
    Wie wertvoll die Inputs der BürgerInnen in den Beteiligungsprozessen zum Ostbayernring waren, kann man den Unterlagen für das Raumordnungsverfahren ansehen: alle Trassenvarianten, die ins formelle Verfahren eingereicht wurden, sind Vorschläge von BürgerInnen, die dann in der vertieften Untersuchung von den Fachexperte optimiert wurden. Die Perspektive, mit der TenneT die Suche nach Trassenalternativen vor dem Beteiligungsprozess betrachtete, war zunächst viel kleinräumiger angelegt und folgte einer bestimmten Logik. Insbesondere in Windischeschenbach wären die im Beteiligungsprozess entwickelten Hauptvarianten ohne das Zutun der BürgerInnen nicht Zustande gekommen, haben aber Chancen auf eine Beurteilung als raumverträglich im Raumordnungsverfahren. Bürgerbeteiligung sollte nicht den Anspruch haben, BürgerInnen in die Rolle der FachexpertInnen zu drängen, sondern sie stattdessen in die Lage versetzen, ihre Kompetenzen in die Planung einbringen zu können. Diese Kompetenzen bestehen insbesondere in ihrem lokalen Wissen, im Hinterfragen von als selbstverständlich behandelten Annahmen in der Planung und darin, die Spielräume auszuloten, die der juristische Rahmen für die Planung durchaus vorsieht. Dies wird sowohl durch ein geeignetes Beteiligungsdesign, die Aufbereitung von Sachverhalten als auch durch gute Moderation erreicht.
  9. DIE ROLLE DER MODERATION
    Die Moderation eines Beteiligungsprozesses hat wesentlichen Einfluss auf seine Ergebnisse. Die ModeratorInnen sind dafür da, die Begegnung auf gleicher Augenhöhe zu unterstützen und dabei zu helfen, dass mit in Gruppen stets präsenten Hierarchien konstruktiv umgegangen wird. Eine Moderation, welche die Aktivierung der TeilnehmerInnen priorisiert, schafft Möglichkeiten für Menschen, sich auch ohne Fachkenntnisse mit ihrem Wissen und Anliegen einzubringen. Bei fachlich-technischen Inhalten sollten sich die ModeratorInnen bereits im Vorfeld der Veranstaltungen bemühen, „Übersetzungsarbeit“ zu leisten und auf die Allgemeinverständlichkeit von Unterlagen hinzuwirken. ModeratorInnen sollten zudem sowohl während der Gestaltung der Beteiligungsprozesse als auch im Rahmen von Veranstaltungen gegenüber InitiatorInnengruppen und anderen AkteurInnen das Hineinversetzen in andere Perspektiven fördern, um auch Anliegen einzubringen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht im Raum vertreten sind.
  10. INTEGRIERTE PLANUNG UND ITERATIVE DURCHFÜHRUNG DER BETEILIGUNGSPROZESSE
    Damit ein Beteiligungsprozess zur Verlaufssuche einer Stromtrasse im Vorfeld der Raumplanung sein volles Potenzial entfalten kann, muss er sinnvoll mit der Gesamtplanung der Stromtrasse verknüpft werden, der Anschluss an das formelle Verfahren sicher gestellt sein und mit Änderungen von Rahmenbedingungen sowie dem Spannungsfeld zwischen Flexibilität und Verbindlichkeit der Planung möglichst gut umgehen. Daher ist eine integrierte Gesamtplanung von besonderer Bedeutung. Dies umfasst bereits in der Anbahnungsphase die gleichberechtigte Einbeziehung aller Erfordernisse, die sich aus den Teilbereichen für die Gesamtplanung ergeben. Dies beinhaltet mindestens technische, wirtschaftliche, juristische, politische, kommunikative und Beteiligungsbelange. Dazu gehört zudem die Erstellung eines realistischen Zeitplans, der Puffer für möglicherweise auftretende Komplikationen vorsieht. Schließlich wäre es gut, von vornherein Anpassungender Abläufe vorzusehen und die dafür nötigen Ressourcen bereit zu halten, um aufsich ändernde Kontexte und andere Einflussfaktoren flexibel reagieren zu können.

Hier die Studie: http://www.demoenergie.de/wp-content/uploads/2016/03/B%C3%BCrgerbeteiligung-zur-Stromtrasse-Ostbayernring-Analyse-des-Beteiligungsdesigns-und-Evaluation.compressed.pdf

Hier ein Film zum Projekt „Demoenergie – Aktionsforschung zur Bürgerbeteiligung beim Netzausbau“: https://www.youtube.com/watch?v=A7i1LwtxXGs