Bürgerbeteiligung: Begriff und Bedeutung

Bürgerbeteiligung ist ein schillender Begriff.

Manche Worte der deutschen Sprache bekommen im Kontext der Beteiligung eine andere oder eine zusätzliche Bedeutung, andere tauchen überhaupt nur hier auf. Da ist die Rede von Öffentlichkeitsbeteiligung, von Partizipation, von Mitbestimmung, Mitentscheidung oder Mitgestaltung. Ihr werden Adjektive vorangestellt: analoge, dialogische, digitale, fakultative, formelle, frühe, kooperative, informelle, obligatorische, strukturierte, vorhabenbegleitende Beteiligung – um nur einige zu nennen.

Was hier nicht unter Bürgerbeteiligung verstanden wird:

  • die finanzielle Beteiligung an Infrastrukturprojekten, etwa an der Wertschöpfung eines Windparks,
  • ehrenamtliches, zivilgesellschaftliches Engagement wie Nachbarschaft- und Flüchtlingshilfe oder Betrieb eines vormals kommunalen Schwimmbads,
  • Protest, ziviler Ungehorsam oder gewaltfreier Widerstand.

Bürgerbeteiligung meint hier: die systematische Einbeziehung von Menschen in politische oder planerische Entscheidungsprozesse.

  • Systematisch – das Vorgehen erfolgt nicht zufällig, sondern nach einem klaren Plan: strukturiert, geordnet und nachvollziehbar.
  • Menschen – gemeint sind alle, die von einer Entscheidung betroffen sind oder sein können. Auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Kinder und Jugendliche, Pendler, Besucher, etc.
  • Politisch – es geht um Entscheidungen, Vorgänge oder Handlungen von Behörden/Regierungen, Stadt-und Gemeinderäten/Parlamenten.
  • Planerisch – es geht um die Vorbereitung und Gestaltung von Infrastrukturvorhaben oder großen Bauvorhaben, die von Unternehmen oder Vorhabenträgern durchgeführt werden.

Innerhalb dieser breiten Definition stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss: Ist er kaum vorhanden? Erkennbar? Oder sehr hoch?

Die Bürgerbeteiligungspyramide

Zur Beantwortung dieser Frage wurden vielfältige Modelle entwickelt. Das berühmteste ist die Beteiligungsleiter von Sherry R. Arnstein aus dem Jahr 1969 mit acht Sprossen. Andere haben Treppenmodelle mit drei bis fünf Stufen vorgeschlagen. Besonders differenziert ist die Partizipationspyramide von Straßburger und Rieger. Hier wird die Idee der Pyramide stark vereinfacht aufgegriffen.

Das Bild hat einen Vorteil: Die nach oben verjüngende Form verdeutlicht nicht nur das Ausmaß des Einflusses, sondern auch die Häufigkeit der jeweiligen Beteiligungsformen. Information ist sehr oft anzutreffen, Konsultation und vor allem Kooperation schon seltener. Echte Entscheidungsmacht wird nur in Ausnahmefällen abgegeben.

Information

Information bildet die Basis jeder Beteiligung. Ohne Wissen über ein Projekt – ob privat oder öffentlich – ist Beteiligung nicht möglich. Transparenz über Abläufe, politische, planerische und wirtschaftliche Hintergründe ist Grundvoraussetzung. Zur Information gehören etwa Plakate und Projektsteckbriefe, mit denen auf eine Planung aufmerksam gemacht wird – analog wie digital. Hier verschwimmt die Grenze zur klassischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Auch Transparenzregeln und Open Data fallen in diesen Bereich.

Konsultation

Bei der Konsultation werden Menschen nach ihrer Meinung gefragt – und diese fließt in Abwägungsprozesse ein. Ob Hinweise und Anregungen tatsächlich berücksichtigt werden, ist dabei nicht garantiert. Gesetzlich vorgeschrieben ist diese Form etwa bei Anhörungen und Erörterungsterminen in Planungsverfahren. Auch klassische Bürgerversammlungen gehören dazu. Bei freiwilligen Konsultationen reicht das Spektrum von Bürgerdialogen vor Ort bis zu moderierten Internetplattformen mit Kommentar- und Diskussionsfunktion. Petitionen zählen ebenfalls hierher: Menschen wenden sich an Entscheidungsträger, ohne sicher sein zu können, dass ihr Anliegen aufgegriffen wird.

Kollaboration

Hier werden Menschen systematisch in die Ausgestaltung eines Projekts einbezogen. Sie können in einem strukturierten Verfahren an Details mitwirken oder Eckpunkte direkt beeinflussen. Ziel ist es, das Wissen der Vielen – das Wissen der Menschen als „Experten des Alltags“ – in den Entscheidungsprozess zu integrieren. Beispiele sind Planungs- und Gestaltungsworkshops, bei denen Anlieger über die Gestaltung eines Dorfplatzes oder den Standort …mitreden. Auch Kinderbeteiligung, z.B. bei der Spielplatzgestaltung fällt darunter. Die Letztentscheidung liegt auch hier bei anderen. Die Übergänge zwischen Konsultation und Kollaboration sind fließend – oft erst im Nachhinein eindeutig erkennbar. Eine zunächst als Konsultation geplante Beteiligung kann zur Kooperation werden, wenn Anregungen ein Projekt grundlegend verändern. Umgekehrt kann eine als Kooperation gedachte Beteiligung auf Konsultationsniveau zurückfallen, wenn erarbeitete Vorschläge in der Schublade verschwinden.

Entscheidung

Die Entscheidung bezeichnet die höchste Stufe der Bürgerbeteiligung, bei der Bürgerinnen und Bürger selbst über ein Projekt, eine Planung oder eine politische Sachfrage entscheiden oder zumindest gleichberechtigt mit anderen an der Entscheidung mitwirken können. Das geschieht durch rechtsverbindliche Bürger- oder Volksentscheide: Die Menschen können „Ja“ oder „Nein“ sagen.

Während es bei Konsultation und Kollaboration um das „Wie“ geht, steht bei der Abstimmung das „Ob“ im Mittelpunkt.

Ein Sonderfall sind politische Mediation und mediationsähnliche Verfahren, bei denen Akteure gleichberechtigt über ein strittiges Thema beraten und eine Einigung erzielen. Hier wird sowohl über das „Ob“ als auch über das „Wie“ entschieden. Entscheidend für die Zuordnung zur Stufe „Entscheidung“ ist, dass die Menschen am Ende „Ja“ oder „Nein“ sagen können – oder wenigstens ein Vetorecht haben.

Ein weiterer Sonderfall sind Bürgerbudgets, bei denen – definitionsgemäß – die Entscheidung über die Verwendung von Finanzmitteln bei den Abstimmenden liegt.

Das Pyramidenbild könnte nahelegen, dass Bürgerbeteiligung idealerweise alle vier Ebenen umfasst. Tatsächlich gibt es solche Fälle: Menschen werden erst informiert und konsultiert, dann zur Kollaboration aufgerufen und dürfen am Ende über das Ergebnis entscheiden.

Das ist aber die Ausnahme – und auch nicht immer nötig. Bei unstrittigen Projekten oder wenn es um Ideensammlung geht, muss der Konsultation oder Kollaboration kein Bürgerentscheid folgen. Umgekehrt kann eine Abstimmung auch vor der Kollaboration stattfinden: erst die generelle Zustimmung klären, dann in die Detailplanung einsteigen.

Öffentlichkeitsbeteiligung

Öffentlichkeitsbeteiligung ist der fachliche Begriff für die Beteiligung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. Er wird vor allem im Bau-, Planungs- und Umweltrecht verwendet und bezeichnet die gesetzlich vorgeschriebene Einbeziehung bei Bauleitplanung, Planfeststellungsverfahren oder Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Der Begriff betont, dass nicht nur einzelne Bürgerinnen und Bürger, sondern die Öffentlichkeit insgesamt beteiligt wird – einschließlich Verbände, Initiativen und Träger öffentlicher Belange.

Öffentlichkeitsbeteiligung ist in der Regel formalisiert und folgt rechtlich definierten Verfahrensschritten wie Auslegung, Einwendungsfrist und Erörterungstermin. In Gesetzestexten und Verwaltungsvorschriften ist Öffentlichkeitsbeteiligung der Standardbegriff.

Partizipation

Partizipation bezeichnet ganz allgemein die Teilhabe von Menschen an Entscheidungen, die sie betreffen. Der Begriff wird in vielen gesellschaftlichen Feldern verwendet: politische Partizipation, soziale Partizipation, Partizipation im Arbeitsleben, in Schulen oder im Gesundheitswesen. In der Wissenschaft fungiert Partizipation als Oberbegriff für alle Formen der Teilhabe und ist international anschlussfähig (englisch participation, französisch participation citoyenne). Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsbeteiligung sind Teilmengen der Partizipation, die sich auf den politisch-administrativen Bereich beziehen.

Mitgestaltung/Mitbestimmung/Mitentscheidung

  • Mitgestaltung bezeichnet die aktive Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern an der inhaltlichen Ausarbeitung und Entwicklung von Projekten, Planungen oder politischen Entscheidungen. Im Unterschied zur bloßen Information oder Konsultation werden bei der Mitgestaltung die Bürgerinnen und Bürger systematisch in die Ausgestaltung eines Vorhabens einbezogen und können in einem geordneten Verfahren an Details mitwirken oder Eckpunkte direkt beeinflussen. In der oben ausgeführten Definition entspricht Mitgestaltung der Stufe Kollaboration.
  • Mitbestimmung ist eine Begriff aus der Arbeitswelt, wo die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung die gesetzlich verankerte Einbeziehung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Entscheidungen ihrer Arbeitgeber beschreibt, geregelt unter anderem durch das Betriebsverfassungsgesetz und verschiedene Mitbestimmungsgesetze. Im Kontext der Bürgerbeteiligung meint Mitbestimmung die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse.
  • Mitentscheidung wird häufig synonym oder überlappend mit Begriffen wie Partizipation, Bürgerbeteiligung oder politische Teilhabe verwendet. es ist ein Sammelbegriff, der Mitbestimmung, Mitentscheidung, Mitgestaltung und Mitwirkung umfasst. In der oben ausgeführten Definition umfasst er – wie die Ähnlichkeit der Begriffe anzeigt – die Stufe Entscheidung.