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Öffentlicher Bürgerdialog muss auch Rechtsextremisten offen stehen

Das gegen einen Dortmunder Rechtsextremisten ausgesprochene Hausverbot für einen städtischen „Bürgerdialog“ war ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot einer Diskriminierung politischer Anschauungen. Das hat jetzt das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden.

Am 18. Juni 2012 führte die Stadt Dortmund im Saal einer Kirchengemeinde den „Bürgerdialog Dorstfeld“ durch. Dabei wurde gegen einen bekannten Dortmunder Rechtsextremisten ein Hausverbot verhängt. Mit Hilfe der Polizei wurde er aus dem Saal geführt. Hiergegen klagte der Betreffende und bekam jetzt Recht vom Oberverwaltungsgericht Münster.

Aus den Gründen:

Die Beschränkung des Teilnehmerkreises (…) verstieß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Verbot einer Diskriminierung von politischen Anschauungen (Art. 3 Abs. 3 GG). Allein der Umstand, dass jemand eine rechtsextreme Gesinnung hat oder in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten ist, rechtfertigt es nicht, ihm Beteiligungsmöglichkeiten in kommunalen Angelegenheiten und Fragestellungen zu verwehren, die eine Stadt allen anderen Bewohnerinnen oder Bewohnern der Stadt oder eines Stadtteils einschränkungslos eröffnet.
(…)
Die Beklagte hat weder beim Erlass des Hausverbots noch im Nachhinein konkrete Tatsachen benannt, die die Annahme rechtfertigen, der Kläger habe den Bürgerdialog stören wollen. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargetan, dass der Kläger bei vergleichbaren Veranstaltungen in der Vergangenheit als Störer in Erscheinung getreten ist. Ihre Behauptung, der Kläger habe massive Störungen beabsichtigt und die gewalttätige Auseinandersetzung gesucht, hat die Beklagte nicht weiter – etwa durch Benennung entsprechender Vorfälle in der Vergangenheit – untermauert. Ebenso wenig hat sie die von ihr angesprochenen „konkreten Bedrohungsszenarien“ und deren Bezug zur Dialogveranstaltung näher erläutert. Die Einschätzung, dass ein Teil der Bevölkerung die Veranstaltung gemieden hätte, wenn auch Rechtsextremisten Einlass erhalten hätten, mag zutreffen, kann aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die hier nicht dargelegt worden sind, deren vollständigen Ausschluss bei einer öffentlichen Veranstaltung nicht rechtfertigen.
(…)
Der mit polizeilicher Hilfe durchgesetzte Hinauswurf vor den Augen der Saalöffentlichkeit war ein diskriminierender und ansehensschädigender Akt. Die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme wäre eine Form der Wiedergutmachung.

Interessant sind die Hinweise des Gerichts zum Veranstaltungskonzept:

Der Oberbürgermeister der Beklagten hat das Gespräch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils E. nicht als Privatperson bzw. Parteipolitiker initiiert und geführt, sondern als Amtsträger. Dies ergibt sich aus der offiziellen Aufmachung und dem Inhalt seiner Einladung, dem Gegenstand der Veranstaltung sowie dem Umstand, dass er weitere Personen aus der Verwaltung der Beklagten als Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger in die Veranstaltung eingebunden und damit auf amtliche Ressourcen zugegriffen hat.
(…)
Die Beklagte geht fehl in der Annahme, der Kläger sei schon deshalb zu Recht zum Verlassen des Bürgerdialogs aufgefordert worden, weil er nicht zum eingeladenen Personenkreis gehört habe. Die Einladung des Oberbürgermeisters richtete sich (u. a.) an alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils E., also auch an den Kläger. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Einladung, der Art und Weise ihrer Verteilung und entsprach im Übrigen dem vom Oberbürgermeister und den Verwaltungsbeschäftigen der Beklagten verfolgten Zweck der Veranstaltung, von den Menschen vor Ort Meinungen und Anregungen zu den dort bestehenden Problem- und Handlungsfeldern entgegenzunehmen. Zwar wäre es grundsätzlich auch möglich gewesen, zu einer solchen Veranstaltung gezielt nur repräsentative Teile der Bevölkerung einzuladen und insoweit individuelle Einladungen auszusprechen. So ist die Beklagte nach dem Gesagten aber nicht vorgegangenen. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, dass der Kläger persönlich kein Exemplar der Einladung erhalten hat. Das Einladungsschreiben war zur allgemeinen Verbreitung bestimmt. Dass nur Personen, die im Besitz eines Einladungsschreibens waren, Einlass zum Bürgerdialog erhalten haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
(…)
Der Senat verkennt schließlich nicht, dass zu den beim „Bürgerdialog E.“ behandelten Themenschwerpunkten auch das Thema „Rechtsextremismus“ gehörte. Das nachvollziehbare Interesse des Oberbürgermeisters der Beklagten, dieses Thema in Abwesenheit von Angehörigen der rechtsextremen Szene mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils E. erörtern zu können, hätte aber allenfalls einen Ausschluss des besagten Personenkreises bei der Erörterung dieses Themenschwerpunktes, nicht aber von der gesamten Veranstaltung rechtfertigen können. Erforderlichenfalls hätte hierfür das Veranstaltungskonzept geändert werden müssen.
(…)
(Es) sind mit dem Hausverbot Tatsachen zu benennen, die den Hausfrieden in der Vergangenheit gestört haben und darauf schließen lassen, dass in Zukunft wieder mit Störungen zu rechnen und das Hausverbot daher erforderlich ist, um erneute Vorfälle zu verhindern. Allerdings muss eine Behörde auch mit aus ihrer Sicht schwierigen Besuchern zurechtkommen und sie ihr Anliegen ungehindert vortragen lassen. Sie kann nicht sogleich auf ein Hausverbot zurückgreifen. Diese Möglichkeit ist dann eröffnet, wenn der Dienstablauf nachhaltig gestört wird, z. B. weil Bedienstete beleidigt oder bedroht worden sind oder der Besucher in nicht hinnehmbarer Weise aggressiv reagiert und mit einer Wiederholung derartiger Vorfälle zu rechnen ist.

Quelle: https://www.waz.de/staedte/dortmund/stadt-darf-nazis-nicht-aus-veranstaltungen-werfen-id211013487.html
Urteilstext: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2017/15_A_3048_15_Urteil_20170505.html
Protokoll des Bürgerdialogs: http://www.dialoggestalter.de/fileadmin/Media/Downloads/BD_Dortmund_Dorstfeld/Dokumentation-1-Buergerdialog.pdf